Chongqing Express

with Katja Stuke

China Express« Kunsthalle Mannheim/ Biennale für aktuelle Fotografie
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Chongqing Express« Ruhrmuseum/Stiftung Zollverein
im Rahmen von Beyond Emscher

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Chongqing Express«
Artist book by Katja Stuke and Oliver Sieber
Edition of 6
28 x 22 cm
524 Seiten auf 7 unterscheidlichen Papiersorten, Digital Offset kombiniert mit Xeroxtechnik und Farblaser, handgenäht

Katja Stuke & Oliver Sieber
Chongqing Express


Die Neue Seidenstraße endet in Duisburg.
Seit 2014 kommen regelmäßig Güterzüge aus China im Ruhrgebiet an. Mittlerweile (2021) sind es über 60 Züge in der Woche – sie bringen neben Elektroartikeln auch Lebensmittel, Grabsteine, Mode, Toilettenpapier, Corona-Schutzmasken und -tests, aber auch »Transfers« für Skateboards, Sport- und Kosmetikartikel oder Zahnimplantate. Mittlerweile verändern sich auch die Gewerbegebiete zwischen Duisburg und Dortmund: chinesische Firmen siedeln sich an, Amazon und andere internationale Unternehmen bauen immer neue und größere Logistik-Zentren; neue Terminals, die die Schiene mit der Straße und den Flüssen verbinden werden geplant und gebaut, neue Gewerbegebiet entstehen da, wo jetzt noch Brachland ist. Durch die neuen Unternehmen kommen neue Menschen ins Ruhrgebiet.

Dortmund, Duisburg, Essen oder Bochum, 7 Städte haben Partnerstädte in China, erste Straßen und Plätze werden nach diesen Städten benannt. Chinesische Namen und Begriffe werden sichtbarer, Teil des Alltags. Und immer mehr Schulen unterrichten die chinesische Sprache ab der 5. Klasse. Sorge macht, ob es durch diese Annäherung politische Konsequenzen haben wird. Wie sehr wird z.B. die Überwachung eine Rolle hier in Europa spielen, wie sehr werden politische Ideen von Europa übernommen, oder über Europa gestülpt werden. Sorgen macht man sich um die Europäischen Unternehmen: wie kann ein globalisierter Handel, in einer globalisierten Welt gerecht sein für alle. Parallel zu den Schienen und Autobahnen im Ruhrgebiet verläuft die Emscher. Für die Recherche blickten wir zurück auf die alte Seidenstraße, die Eroberungen und Schatzschiffe des Zheng He im 14. und 15. Jahrhundert, die deutsche Kolonialisierung von Tsingtao Ende des 19. Jahrhunderts, die kulturellen Errungenschaften, die schon lange Zeit Teil auch unserer Kultur sind, wie z.B. das Porzellan, das Papier oder die Druckkunst. Die Emscher-Renaturierung ist wiederum auch ein Vorbild für anderen Industrienationen: immer wieder kommen Delegationen, auch aus China, um sich zeigen zu lassen, wie mit Industrieabfällen und Wasserverschmutzung umzugehen ist.

Die Arbeit an diesem Projekt fand während der Corona Pandemie statt: Ab März 2020 wurde die gegenseitige Abhängigkeit immer deutlicher: der Virus, der zuerst in China auftauchte und sich weltweit verbreitete, Produkte die fehlten, Masken, Tests und Schutzkleidung, die aus China importiert werde mussten; an verschiedenen Orten, die wir im Rahmen unseren Projekts fotografieren wollten, waren Test- und Impfzentren entstanden und im Suezkanal blieb das Containerschiff »Ever Given« der Reederei »Evergreen« liegen, blockierte für Wochen den Schiff- und Warenverkehr, in einigen Branchen macht sich der Mangel von bestimmten Waren oder Kleinteilen bemerkbar. Immer wieder wird bewusst, wie weltweite Ereignisse mit jedem einzelnen von uns selber zu tun haben. Diese persönliche Ebene, die Bedeutung globalen Handelns, die weltweiten Zusammenhänge sind zudem nicht zu trennen von zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Fortbewegung im Ruhrgebiet ist noch immer durch das Fahren auf der Autobahn geprägt. Die Autobahnen werden immer breiter, mehrspuriger, die rechte Spur ist quasi ununterbrochen, abstandslos von LKW befahren, auch hier sieht man chinesische Schriftzeichen auf einigen den Containern. Aber jetzt wissen wir auch, wie es hinter den Lärmschutzwänden der Autobahnen aussieht. Und kennen die Orte, an denen die Fahrer ihre LKW parken und dort in ihnen Kabinen oder privaten PKW leben und übernachten – auf Autobahnraststätten oder auch in abgelegenen Gegenden neben den Bundes- und Landstraßen. Unser fortwährendes Unterwegssein, das Fahren auf der Autobahn, tagsüber aber auch nachts, wird Im Künstlerbuch sichtbar – als durchgehender Strang, als Rhythmus zwischen den einzelnen Orten, die wir aufgesucht hatten, den Menschen, die wir getroffen hatten – nur einmal unterbrochen für ein kurzes Durchatmen: ein Spaziergang mit dem Chinesen Hao Wen, der zum Studium der Fotografie an der Folkwang Universität nach Essen kam, und mit dem wir zwischen der Emscher und dem Rhein-Herne Kanal nahe des »Monument for a Forgotten Future« zusammen gingen und dabei über Fotografie und die Verbindungen zwischen China und Europa sprachen.
Der Ort war bewusst ausgewählt: Die Frage nach der Zukunft, den Prognosen für das Ruhrgebiet stellt sich – und die Fragen nach dem danach: wie das Ruhrgebiet 2049 aussehen wird, wenn die neue Seidenstraße offiziell fertig sein soll;